Katharina Martha Eßer – Bioladen Ulenburg „Fruchtboden“

Seit fast 100 Jahren lebt Ihre Familie für die Landwirtschaft und regionale Direktvermarktung. Teilen Sie mit uns ein Stück Historie?

Mein Urgroßvater Otto Esser brachte bereits Erfahrungen der Direktvermarktung mit, als er das Rittergut Ulenburg 1925 erwarb. Mit Pferd und Wagen wurden von Anfang an im Straßenverkauf  Kartoffeln, Stroh und Futterrüben zu den Endverbrauchern gefahren. Damals hatten viele Haushalte noch Hühner und Schweine, die hat er versorgt. Mein Großvater hat dann vor allem in den Zeiten des zweiten Weltkrieges die heimische Bevölkerung mit Gemüse und Obst versorgt. Hieran knüpfte wiederum mein Vater an, der ab den 70er Jahren die ersten Impulse im biologischen Landbau setzte und den heutigen Obstbaubetrieb intensivierte. So hat jede Generation bisher ihre Antworten auf die Fragen und Bedürfnisse der Gesellschaft gefunden und damit den Betrieb erhalten und weiterentwickelt. Dieses Erbe führe ich nun zusammen mit meinem Mann Kim Marc Brockmeyer weiter.

Seit 2017 bieten Sie Erzeugnisse an, in denen Ihre Früchte weiterverarbeitet werden: Secco, Apero, Himbeergeist, Fruchtaufstriche und sogar Kinderschampus. Alles Eigenfertigung?

Alle Früchte stammen zu 100 % aus eigenem Anbau. Bei der Weiterverarbeitung unterstützen uns Fachbetriebe, die allesamt eine langjährige Erfahrung haben. Ein Weinbaubetrieb aus der Nähe von Mainz fertigt Erdbeer-Secco, -Apero und Kinderschampus. Eine mit unserer Familie befreundete fränkische Familie unterstützt uns bei der Herstellung des Himbeergeistes und die Lebenshilfe Detmold kocht den Fruchtaufstrich. Alle Kooperationspartner garantieren uns höchste Qualität.

Einen Katzensprung entfernt bieten Sie in Ihrem wunderbaren Bioladen Ulenburg „Fruchtboden“ ausschließlich kontrolliert biologisch erzeugte Lebensmittel und alles für den täglichen Bedarf an. Sie legen sehr viel Wert auf regionale Produkte und sind daher mit der Region eng verbunden…

Der Bioladen Ulenburg ist hervorgegangen aus der Direktvermarktung meiner elterlichen Generation. Mein Vater belieferte die ersten Bioläden in Ostwestfalen mit eigenem Biogetreide, Möhren und Kartoffeln. Aus diesen ersten Beziehungen Anfang der 80er Jahre entwickelte sich ein immer größer werdendes Sortiment zugekaufter Waren. Meine Mutter hat dann den Bioladen als Naturkostfachgeschäft gegründet und mit sehr viel Engagement ausgebaut. Mein Bruder und ich haben die Liebe zur Naturkost quasi schon mit der Muttermilch aufgenommen. Dazu gehören der direkte Einkauf bei biologischen Erzeugerbetrieben und die intensive Kontaktpflege. Aufklärung und Transparenz haben oberste Priorität.

Ihre Obst- und Gemüseabteilung hat in der „Beste Bioläden-Umfrage“ des Fachmagazins Schrot und Korn Bronze bekommen. Was für eine Auszeichnung! Stammt z.B. das Obst aus Ihrem landwirtschaftlichen Betrieb?

Ja, die Urkunde ist eine besondere Auszeichnung, denn sie kommt direkt von unserer Kundschaft und beinhaltet ein großes Lob an unser Team und unseren hohen Anspruch an die Frischequalität des Obst- und Gemüseangebotes. Ulenburger Produkte im Sortiment stammen aus der Bioland-Gärtnerei Ulenburg, einer Genossenschaft, mit der wir eng zusammenarbeiten. Unsere Ulenburger Beerenfrüchte vermarkten wir ausschließlich in der Saison in kleinen Verkaufsständen der Region und an einigen lokalen Standorten. Hier gibt es eine klare Trennung. Die Beeren werden zwar mit einem Herzschlag für den Biolandbau angebaut, sind jedoch nicht bio-zertifiziert. Aus Gründen der Transparenz trennen wir deshalb die Vermarktungswege. Dieses Thema sorgt zunächst immer wieder für Erstaunen bei unserer Kundschaft, wenn sie vergeblich im Bioladen nach unseren Beerenfrüchten fragt. Doch so stellen wir sicher, dass der Bioladen als Naturkostfachgeschäft zu einhundert Prozent Produkte aus kontrolliert biologischem Anbau führt. Das finden Sie in keinem Supermarkt.

Sie bieten in Ihrem Geschäft u.a. Verkostungen, kostenlose Ernährungsberatungen, saisonale Aktionen etc. an und sind sehr aktiv in den sozialen Medien, wie z.B. Facebook tätig. Wie packt man all das in einen „normalen“ Arbeitsalltag und – ablauf (P.S. Öffnungszeiten von 07:30 – 19:30 Uhr)?

Auch bei uns hat jeder Tag nur 24 Stunden. Wir sind ein eingespieltes Team engagierter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Dazu gehören solche, die schon 20 bis 30 Jahre dabei sind und natürlich eine Menge an Fachwissen und Erfahrung erworben haben. Diese arbeiten nun die Jüngeren ein, die sich wiederum besser in den sozialen Medien auskennen. Quereinsteiger gehören zum Team, auch Menschen mit Migrationshintergrund, die über diese Arbeitsstelle einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Das soziale Miteinander ist uns auch im Betrieb wichtig. In der Leitungsebene kommt es darauf an, die vielfältigen Aufgaben an diejenigen zu delegieren, die die notwendige Kompetenz haben oder noch erwerben können und wollen. Dann macht es einfach für alle Spaß.

»Aufklärung über gesunde Ernährung und

eine nachhaltige Lebensweise, das werden wir weiter in Projekten fördern. .«

Sie engagieren sich darüber hinaus noch für soziale Projekte. Zuletzt haben Sie durch die Spendenbereitschaft Ihrer Kundschaft zwei tolle Projekte in Löhne und im Libanon unterstützt. Haben Sie schon ein neues Projekt im Auge?

Momentan schauen wir auf die Entwicklung des Löhner Bahnhofes, der zu einem sogenannten „Dritten Ort“ ausgebaut werden soll. Hier engagiert sich der Verein „Löhne umsteigen – Der Bahnhof“. Den wollen wir unterstützen, ein Kultur- und Lesecafé mit Bistro für die Bahnkundschaft aufzubauen unter der Maßgabe „fair – regional – bio“. Fortsetzen wollen wir nach der Corona-Krise die Aktion „Biobrotbox“, bei der seit gut 10 Jahren alle Löhner Grundschulen in einem regionalen Netzwerk auf unsere Initiative hin zum Schulanfang beliefert werden. Aufklärung über gesunde Ernährung und eine nachhaltige Lebensweise, das werden wir weiter in Projekten fördern.

Was hat sich in 35 Jahren „Bioladen Ulenburg“ getan? Gibt es Pläne für die Zukunft?

Meine Mutter hat den Bioladen maßgeblich entwickelt. Sie berichtet von den Anfängen, als das Müsli und der Ulenburger Haustee noch selbst gemischt wurden und die wenigen Bioläden in der Region sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch trafen. Aus ersten 80 qm Verkaufsfläche im „Fruchtboden“ sind mittlerweile 270 qm geworden. Unser Vollsortiment an Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfes ist ergänzt worden um Naturtextilien und Geschenkartikel.

Wir träumen im Moment von einem Cafébetrieb in unserer schönen Allee und ausbaufähig ist auch unser Lieferservice per Elektroauto. Zu unserem Gesamtkonzept gehört der Ausbau nachhaltiger regionaler Strukturen, da wollen wir weiterhin mitmischen.

Wir haben etwas „gegoogelt“ – und durchweg positive Rezensionen sowohl über Ihr Sortiment als auch über das sehr freundliche, sympathische Personal gefunden. Es scheint, Kundschaft und Mitarbeiterinnnen sind eine große Familie?

Wir sind ganz klar ein Familienbetrieb mit entsprechender Atmosphäre. Unsere Kundschaft kommt zu einem großen Teil schon bereits in der dritten Generation. Den Lieferservice haben wir wegen der Coronapandemie neu entwickelt, um unter anderem die Älteren zu schützen. Manche können aus Altersgründen nicht mehr zu uns kommen, nun fahren wir zu ihnen. Meine Mutter hat durch Informationsveranstaltungen, Vorträge und Kochkurse seit Jahrzehnten ein Netzwerk aufgebaut, das auch über „Mundpropaganda“ Kreise gezogen hat. So wurde der Bioladen zu einem sozialen Treffpunkt und hat auch immer die passenden engagierten Mitarbeiterinnen angezogen. Hier muss man mit Herzblut dabei sein.

Worauf sind Sie im Rückblick besonders stolz?

Von meinem Vater habe ich das Sprichwort übernommen: „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Dieses berühmte Zitat von Jean Jaurès wird unterschiedlichen Urhebern, unter anderem Gustav Mahler zugeschrieben. Wo auch immer es herkommt – ich bin stolz und dankbar, dass unsere Familie in Ulenburg sich nun in der vierten Generation den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen stellt. Dazu gehört die große Kunst, ein ökologisches Engagement und verantwortliches Handeln zu verknüpfen mit ökonomischem Erfolg. Ich hoffe, dass mein Mann und ich in diesem Sinn das „Feuer“ an unsere drei Kinder weitergeben können.