DRK Kreisverband Herford-Stadt e.V.,

Ralf Hoffmann

Herr Hoffmann, das DRK ist einer der großen Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Welche Aufgaben haben Sie auf Kreisebene?

Der Kreis Herford ist gegliedert in zwei DRK Kreisverbände: einmal der DRK Kreisverband Herford Stadt und der DRK Kreisverband Herford Land. Zu unseren Aufgaben als DRK Kreisverband Herford Stadt gehören die Wohlfahrtsarbeit, der Katastrophenschutz und die Ausbildung in Erste Hilfe. Darüber hinaus haben wir eine Kleiderkammer, drei Kindertagesstätten, ein Mehrgenerationshaus, zwei Spielmobile, Seniorenfreizeiten, einen Mittagstisch in unserem Mehrgenerationshaus, ein Wohnprojekt – also eine Vielzahl von sozialen Aktivitäten, die wir neben der Ausbildung in der Ersten Hilfe und der Mitarbeit im Katastrophenzivilschutz für den Kreis mit übernommen haben und ausführen.

Die Idee des virtuellen Trainings kam beim DRK schon vor Corona. Wie ist die Idee entstanden und welchen Anlass gab es?

In der Tat hatten wir schon vor Corona dieses Thema Ausbildung mit VR auf dem Schirm. Wenn man so innovativ unterwegs ist und immer wieder nach neuen Möglichkeiten und Ideen sucht, dann trifft man irgendwann mal Personen und tauscht sich mit denen aus. Über ein Coaching-Projekt haben wir Thomas Pilz unseren VR-Beauftragten kennengelernt. Ich war sozusagen sein Gewinn. Wir haben festgestellt, dass wir gut zusammenpassen, und überlegt, wo gibt es denn Bedarf. Mit den 360 Grad Videos sind wir dann angefangen mit der Idee dahinter, wie erkläre ich die Welt. Mein Ziel in der Kita war es, Kinder zu befähigen, aus ihrer Perspektive Erwachsenen ihre Welt zu erzählen. Über diese 360 Grad Geschichte kam dann der Gedanke, wenn das für Kinder interessant ist, dann kann man das doch auch für Erwachsene machen. Lass uns doch mal überlegen, wie wäre das, wenn wir zeit- und ortsunabhängig im Ausbildungsbereich ein Modul hätten, wo unsere ehrenamtlichen DRK-Helfer in ihrer Freizeit ortsungebunden in Szenarien eintauchen können, in denen sie ihr für den Realeinsatz erforderliches Wissen erlernen, erproben und auffrischen können. Und dann kam die Idee, was in 360 Grad geht, geht auch in VR. Und so sind wir hingegangen und haben systematisch diesen VR-Bereich gemeinsam entwickelt. Immer mit dem Ziel, Menschen zu befähigen, mit der VR neue Erfahrungen zu machen und einen Mehrwert zu generieren. Dabei ist wichtig zu wissen: VR ersetzt keine reguläre Ausbildung und auch kein reguläres Lernen. VR ist eine Ergänzung, eine sinnvolle, positive, zukunftsorientierte Ergänzung, die ein anderes Raum-Zeit-Erleben zu lässt und die andere Möglichkeiten der kognitiven Wahrnehmung ermöglicht, um in Ausbildungssituationen hinein zu gehen. Man kann das am besten erklären am Fahrradfahren: Sie können nicht theoretisch Fahrradfahren lernen. Wenn sie aber auf einem Fahrrad sitzen, auch wenn es nur virtuell ist, dann spüren sie auf einmal, dass es wackelig ist, dass es anders ist und so nähern sie sich langsam der Methodik an. Bis sie dann aufs Fahrrad steigen und das, was sie dann vorher gelernt haben, umsetzen können – anhand eines Buches aber können Sie kein Fahrrad fahren lernen, das geht nicht.

Sind denn weitere Anwendungen vorstellbar? Neben der Ausbildung?

Ja sicher. Wir sind momentan dabei, ein großes Projekt mit einem Pflegeheim zu verwirklichen. Da geht es darum, dass wir ein Pflegezimmer in VR dargestellt haben, wo zum Beispiel Pflegehelfer, die in der Ausbildung sind, reingehen und sich erstmal dort zurechtfinden. Es gibt andere Anwendungen, so zum Beispiel im Bereich Quartiersentwicklung: Menschen lassen sich ihren Stadtteil erklären, so dass andere ihn virtuell abgehen können. Das ist ein super interessantes Projekt, denn nicht alle, gerade gehandicapte Leute, haben die Möglichkeit, an allem immer und überall teilzunehmen. Aber durch so eine Brille haben sie die Möglichkeit, das Leben dorthin zu bringen, wo die Menschen sind. Stellen sie sich mal ältere Leute vor, die einen Aktionsradius von wenigen 100 Metern haben, die in einem Stadtteil leben. Wenn wir dort VR-Filme aufnehmen und die Brille zu den Leuten bringen, in das Stadtteilbegegnungszentrum, dann haben sie einen ganz anderen Aktionsradius und ein ganz anderes soziales Empfinden und ein ganz anderes soziales Erleben – und das zeit- und ortsunabhängig. Schauen sie mal wie viel Freude es den alten Leuten macht, wenn sie Sachen erleben können, die sie sonst nicht mehr erleben könnten. Sie können beispielsweise auf einen Berg oder eine Treppe hoch gehen auf eine Aussichtsplattform, ohne Fahrstuhl; dort kämen sie nie mehr hoch. Mit VR können sie dies erleben. Mit VR ist es möglich, diese Realität nach Hause zu holen und die Leute teilhaben zu lassen. VR hat also nicht nur etwas mit Ausbildung, sondern auch mit Teilhabe und Barrierefreiheit zu tun.

Das DRK ist der Kopf des ganzen Projektes, aber Sie benötigen für die Umsetzung auch Partner. Wie haben Sie diese gefunden und wie haben Sie sie begeistert?

Das ist richtig: das DRK ist der Kopf dieses Projektes, aber das Ganze ist Teamarbeit. Gefunden haben wir die Leute, indem wir sie angesprochen haben. Wir haben sehr viel Social Media Arbeit gemacht, haben Kontakte genutzt und wir sind zu Veranstaltungen gefahren. Wir haben uns bei digital.engagiert beim Deutschen Stifterverband und bei Amazon beworben und konnten uns dort unter die ersten zehn platzieren. Über die direkte Ansprache haben wir Leuten klargemacht, dass jeder an unserer Idee partizipiert. Denn wenn sie heute nach einem Verkehrsunfall auf der Straße liegen und Ihnen wird geholfen, dann kommen gut ausgebildete Retter – von denen 90% vom Deutschen Roten Kreuz ausgebildet worden sind. Irgendwie ist alles miteinander verbunden.
Unterstützung heißt aber nicht immer Geld, Unterstützung kann auch heißen Know-how und Sachspenden, und und und. Um die ganzen VR-Filme machen zu können, braucht es spezielle Kameras und manche Kameras sind so teuer, dass man sie sich selber nicht leisten kann. So haben wir zum Beispiel Leica Geosystems angesprochen und haben gesagt, ihr habt doch so eine Kamera, wäre das nicht vielleicht etwas für euch. Wir bieten euch Content-Material und bieten euch die Möglichkeit, dies einmal in einem anderen Rahmen auszuprobieren. Die waren so begeistert von dem was wir gemacht haben und haben gesagt: “Wenn ihr uns braucht, wir sind da.“. Und somit kann Leica eine CSR-Strategie zeigen: hier wir engagieren uns auch. Gleichzeitig ist es für das Produkt gut, weil man sehen kann, wie es eingesetzt wird. Also wir versuchen in der Regel Win-Win-Situationen zu schaffen. Hierzu muss man wissen wo man steht und wissen was man will, man muss dieses artikulieren können, damit es fair miteinander ist. Man muss aber auch sagen, was man bereit ist zu geben, und das tun wir. Als Partner versuchen wir immer im Team einen Mehrwert zu generieren und das ist glaube ich das Geheimnis, warum wir in vielen Bereichen erfolgreich sind. Es gibt eine schöne Fundraisingregel, die besagt, wer nicht fragt, bekommt keine Antwort. Frag, wenn du ein Nein hörst ist die Frage: ist es ein Nein für jetzt, ist es ein Nein für immer oder darf ich nochmal wiederkommen. Also im Gespräch bleiben, attraktiv machen und natürlich auch informieren, mitnehmen, zeigen, präsentieren, um im Dialog zu sein. Und ich glaube auch, dass ist eine unserer Stärken und es ist auch eines unserer Geheimnisse des Erfolges – gilt nicht nur im DRK.

»Mit VR ist es möglich, diese Realität nach Hause zu holen und die Leute teilhaben zu lassen.«

Ihr Projekt ist ein Leuchtturmprojekt. Gibt es eigentlich schon Nachahmer?

Es gibt sicherlich einige Leute, die da neidisch drauf gucken. Ob es direkt Nachahmer gibt, das weiß ich nicht. Ich glaube es aber auch nicht, weil es sehr schwierig ist, das Know-how und auch das Material zusammen zu bekommen. Also man braucht schon ein Fundament, auf dem man aufbauen kann. Was es aber gibt, sind interessierte Vereine, innerhalb und außerhalb des DRK. Wohlfahrtsverbände im sozialen Bereich, die fragen, können wir teilhaben. Auch da versuchen wir, Brücken zu schlagen, und auch hier gibt es eine gewisse Teilhabe: wir können Projekte zusammen machen oder wir lassen euch an unserem Know-how teilhaben und wir schauen, wie wir dann zusammenkommen. Wir verkaufen natürlich auch unser Know-how, das müssen wir machen, um natürlich auch solche Projekte finanzieren zu können.

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Wir sind jetzt gerade dabei und digitalisieren ein Pflegezimmer innerhalb eines großen katholischen Krankenhauskonzerns. Damit wird auch deutlich, es ist nicht nur auf DRK beschränkt. Darüber hinaus sind wir mit dem ADAC in Kontakt. Die Themen Pflege sowie Luftrettung und Rettung sind sehr umfangreich. Unser nächstes großes Ziel ist die Learntec 2021 in Karlsruhe, wo wir einen Rettungswagen-Simulator (TW-Simulator) in echt präsentieren werden. Sie setzen die VR-Brille auf und sind in einem RTW in Lebensgröße drin. Präsentieren werden wir diesen gemeinsam mit der Bergischen Uni; hier kooperieren wir mit dem Fraunhofer Institut. Und parallel dazu und das ist das schöne auf der Learntec wird ein orginal RTW stehen, wo Sie vergleichen können, wie sieht das aus, wenn ich in der Realität in einem RTW stehe und wie sieht es aus, wenn ich in der VR darinstehe. Sie werden sehen, dass es täuschend echt ist. Vielleicht ist VR sogar noch schöner. Und das auf einem riesen Messestand.

Die Learntec hat uns angesprochen, wir wollen euch unbedingt mit diesem Projekt haben, weil es natürlich ein Magnet ist. Die Leute kommen dahin und wollen das erleben, weil es ein Zukunftsthema auch in der Wirtschaft ist. Da satteln wir drauf, da sind wir dabei und da geben wir Gas. Und das ganze eben mit Ehrenamt zusammen kombiniert, um Ehrenamtliche zu befähigen, auch in diesem Bereich mit zu wirken. Das ist eigentlich eins der schönsten Projekte überhaupt.